Baldo Blinkert, Thomas Klie

Pflegekulturelle Orientierungen und soziale Milieus.
Ergebnisse einer Untersuchung über die sozialstrukturelle Verankerung von Solidarität.

"Die Wissenschaft muß mit Mythen und Mythenkritik beginnen."
Karl R. Popper

Die Sicherung der Pflege, insbesondere älterer Menschen, wird zu einer immer bedeutsameren gesellschafts- und sozialpolitischen Frage. Der demografische Wandel und die epidemiologischen Daten lassen für die nächsten Jahrzehnte eine deutliche Zunahme der Zahl Pflegebedürftiger erwarten. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass die bisherigen gesellschaftlichen Formen der Versorgung von Pflegebedürftigen, insbesondere durch Angehörige und Partner, künftig nicht in der bisherigen Weise vorausgesetzt werden können. Gerade die innerfamiliäre Pflege ist in besonderer Weise Einflüssen gesellschaftlichen Wandels unterworfen. Die Pflegeversicherung, die die Sicherung der Pflege aus dem Sicherungsniveau der Sozialhilfe zumindest zum Teil auf das Niveau der Sozialversicherung gehoben hat, geht auch weiterhin von der Pflegebereitschaft von Angehörigen und Partnern aus und möchte sie stabilisieren. Sie setzt aber nicht nur auf Familienpflege, die in begrenztem Umfang durch Pflegegeld honoriert wird, sondern sieht darüber hinaus die Familienpflege substituierende Leistungen durch Pflegedienste und Einrichtungen vor. Dabei geht die Pflegeversicherung im häuslichen Bereich von dem Bild eines gemischten Pflegearrangements aus, an dem sowohl Angehörige, ggf. Ehrenamtliche, aber vor allem auch beruflich Pflegende beteiligt sind. Die Pflegeversicherung ihrerseits will nicht nur Rahmenbedingungen für Pflege schaffen, sondern gleichzeitig Einfluss nehmen auf individuelle und kollektive Sicherungskonzepte im Fall des Eintritts der Pflegebedürftigkeit. Die ersten Auswirkungen der Pflegeversicherung im ambulanten Sektor wurden dokumentiert und untersucht.(1) In allen Untersuchungen wird sichtbar, dass sich ein leichter Trend zu vermehrtem Einbezug von professionellen Hilfen im häuslichen Bereich ergibt, wobei jedoch deutliche Unterschiede bei unterschiedlichen Gruppen von Pflegebedürftigen zu beobachten sind. Erkenntnisse über die Einstellungen, Erwartungen und Mentalitäten jüngerer Generationen zur Frage der Sicherung der Pflege sowohl bezogen auf sie als potentiell Pflegende als auch in der Rolle als Gepflegte liegen bisher nicht vor. Erkenntnisse über die für die Zukunft zu erwartenden "pflegekulturellen Orientierungen" sind aber in mehrerlei Hinsicht von hoher Bedeutung für Fragen, wie die folgenden:

  • Kann die Sicherung der Pflege in der Zukunft auch auf Hilfe aus dem informellen Sektor rechnen?
  • Welche Personengruppen zeigen unter welchen Bedingungen am ehesten Pflegebereitschaft?
  • Wie hat sich der Anteil dieser Gruppen verändert und mit welchen weiteren Veränderungen muß gerechnet werden?
  • Welche Rahmenbedingungen müssen für die Pflege in der Zukunft rechtlich, ökonomisch und infrastrukturell gegeben sein?
  • Wie könnte eine gestaltende kommunale Altenpolitik und -planung aussehen, die lokal angepasst Planungsaktivitäten sowohl in infrastruktureller als auch in kultureller Hinsicht entfaltet, um so die Sicherung der Pflege auch in der Zukunft (mit) zu gewährleisten.
Diese anwendungsbezogenen Fragen im Rahmen des Projektes "Grundlagen und Methoden kommunaler Altenplanung"(2) führten zu den von uns durchgeführten Untersuchungen über pflegekulturelle Orientierungen, die aber ebenso in den Kontext soziologischer Grundlagenforschung gehören und wichtige Beiträge liefern können.
 

Die Untersuchung wurde als persönlich-mündliches Interview in der schwäbischen Kleinstadt Munderkingen bei ca. 400 Personen in der Altersgruppe der 40- bis 60jährigen durchgeführt.(3) Diese Altersgruppe ist aus verschiedenen Gründen besonders wichtig: Es ist die Gruppe, die in absehbarer Zukunft mit der Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen zu tun haben wird. Wenn wir wissen wollen, welche Bereitschaften zu Unterstützungsleistungen durch das informelle soziale Netz in absehbarer Zukunft vorhanden sind, ist es besonders wichtig, die Orientierungen in dieser Altersgruppe zu erforschen. Das ist umso dringender, als es keine verläßlichen empirischen Untersuchungen zu dieser Frage gibt.

Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, in welcher Weise und wie deutlich "pflegekulturelle Orientierungen" in der Sozialstruktur verankert sind. Über das Konzept des "sozialen Milieus" können wir zeigen, daß Formen der sozialen Solidarität in starkem Maße von der Stellung in einem sozialen Raum abhängig sind, der einerseits durch eine "strukturelle Achse" (positionale Ungleichheit) und andererseits durch eine "symbolische Achse" (Teilhabe am "legitimen Diskurs") konstituiert wird. Es läßt sich auch zeigen, wie die Bedeutung der durch diese Achsen beschreibbaren Milieus sich im Verlauf des sozialen Wandels geändert hat und wie sich diese Änderungen auf die Verteilung von Pflegebereitschaften ausgewirkt haben.

Diese Fragen eröffnen auch Perspektiven für die Praxis der Altenhilfeplanung. Die hier entwickelten Instrumentarien zur Ermittlung von "pflegekulturellen Orientierungen" und zur Beschreibung von sozialen Milieus sind so beschaffen, daß sie sich in der Altenhilfeplanung vor Ort, also in den Kommunen, bzw. in Kreisen, einsetzen lassen. Das setzt Methoden voraus, die anwendbar sind. Den lokalen Altenhilfeplanern ist nicht zuzumuten, eine gerontologische oder soziologische Grundlagenforschung durchzuführen. Die Methoden müssen also - mit einem Wort - einfach und effektiv sein.(4)
 

Pflegekulturelle Orientierungen

Unter "pflegekulturellen Orientierungen" verstehen wir Einstellungen bzw. Dispositionen über das eigene Verhalten gegenüber pflegebedürftigen Angehörigen: Soll die Pflege zuhause durch eigene Leistungen erfolgen? Sollen professionelle Helfer bzw. Organisationen daran beteiligt werden? Soll die Versorgung durch ein Pflegeheim übernommen werden? "Pflegekulturelle Orientierungen" beziehen sich aber auch auf die "Hintergründe" für die vorhandenen oder fehlenden Pflegebereitschaften: Wie wird die Präferenz für eine bestimmte Art der Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen begründet? Spielen dabei moralische Erwägungen eine Rolle? Werden Kostengesichtspunkte bei einer Entscheidung berücksichtigt? Was für Kosten sind das?

Wer soll pflegen? Wo soll gepflegt werden?

Wenn es darum geht, Pflegebereitschaften zu ermitteln, dann sind diese Fragen sicher von grundlegender Bedeutung: Welche Vorstellungen bestehen darüber, wo und wie die pflegerische Versorgung durchgeführt werden soll? Besteht eher eine Präferenz für ambulante und selber geleistete Pflege, oder für die Versorgung in einem Heim.

Im Interview wurde gefragt, was jemand tun würde, wenn eine nahestehende Person pflegebedürftig wird. Es wurden u.a. die folgenden zwei Möglichkeiten vorgegeben:

  • Den Verwandten alleine und ohne fremde Hilfe zuhause pflegen.
  • Für den Verwandten einen Platz in einem gut geführten Pflegeheim in der Nachbarschaft suchen.
Die beiden Alternativen konnten in der folgenden Weise bewertet werden: "käme auf jeden Fall in Frage", "käme eventuell in Frage" und "käme auf keinen Fall in Frage".

Aus diesen Vorgaben wurde die folgende Typologie entwickelt:  

Tabelle 1: Typologie "Pflegekulturelle Orientierungen"

in einem Pflegeheim pflegen ("Heimpflege")
alleine zuhause pflegen ("Selberpflegen")
auf keinen Fall
eventuell
auf jeden Fall
auf keinen Fall

R

"ratlos"

ESP

"eher selber pflegen"

SP

"selber pflegen"

eventuell

EHP

"eher Heimpflege"

U

"unentschlossen"

ESP

"eher selber pflegen"

auf jeden Fall

HP

"Heimpflege"

EHP

"eher Heimpflege"

E

"erratisch"

Die Abbildung 1 zeigt, wie sich diese Orientierungen verteilen: Eine "unbedingte Bereitschaft zum Selberpflegen" bei strikter Ablehnung der Pflege durch ein Heim (Typ SP) wird nur von einer Minderheit von 13 Prozent der Befragten in Erwägung gezogen. "Eher" zum Selberpflegen als zur Heimpflege (ESP) sind 18 Prozent bereit. Beide zusammen ergeben bei den 40- bis 60jährigen einen Anteil von rund 30 Prozent, die eine Bereitschaft zum selber pflegen erkennen lassen.

Eine "unbedingte Befürwortung der Heimpflege" bei strikter Ablehnung der selber durchgeführten häuslichen Pflege (Typ HP) bringen 15 Prozent der Befragten zum Ausdruck. "Eher" an Heimpflege denken 23 Prozent der Befragten, d.h. für sie kommt das Heim "auf jeden Fall" in Frage, aber eventuell sind sie auch zum Selberpflegen bereit oder sie wollen "auf keinen Fall" selberpflegen, ziehen aber eventuell das Heim in Erwägung (Typ EHP). Diese beiden Typen zusammen haben einen Anteil von rund 40 Prozent und bringen zum Ausdruck, wie hoch das Potential für die Bereitschaft zu einer stationären Versorgung bei den 40- bis 60jährigen einzuschätzen ist.

Als "unentschlossen" bzw. "abwägend" gelten diejenigen, für die sowohl das Selberpflegen wie auch die Heimpflege "eventuell" in Frage kommen (Typ U). Rund ein Drittel der Befragten entsprechen diesem Typ.

Dann gibt es noch die relativ kleine Gruppe der "Ratlosen", für die sowohl die Heimpflege wie auch Selberpflegen "auf keinen Fall" in Frage kommt (Typ R: 6 Prozent) und die Gruppe der "Erratischen", die (aus welchen Gründen auch immer) sowohl selber pflegen wie auch Heimpflege "auf jeden Fall" in Betracht ziehen.
Diagramm 1
 

"Pflegemix" und pflegekulturelle Orientierungen: häusliche Pflege ohne und mit professioneller Unterstützung
 

Für diejenigen, die eine Bereitschaft zur selbst geleisteten häuslichen Pflege zum Ausdruck bringen (Typ SP und ESP), kann gefragt werden, ob sie daran denken, dabei auch beruflich geleistete Hilfen in Anspruch zu nehmen. Das ist bei nahezu allen der Fall und gilt ganz besonders für die "Unentschlossenen" bzw. "Abwägenden" (Typ U), für die eine Entscheidung zur eigenen häuslichen Pflege erst dann in Frage kommt, wenn sie mit beruflichen Helfern rechnen können. Auch von denen, die "eher die Heimpflege" befürworten, für die also eine ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen nicht ganz ausgeschlossen ist, zeigen immerhin 27 Prozent ein Interesse an einem "Pflegemix".
 

Tabelle 2: Pflegekulturelle Orientierungen mit der Bereitschaft zum Selberpflegen und Interesse an beruflicher Hilfe ("Pflegemix")

(Angaben in Prozent)

Typ Erläuterung Prozent, die keine beruflichen Hilfen wünschen Prozent, die berufliche Hilfen wünschen ("Pflegemix")
SP unbedingte Bereitschaft zum Selberpflegen und strikte Ablehnung der Heimpflege
8
92
ESP eher Bereitschaft zum Selberpflegen
4
96
U unentschlossen - kalkulativ
0
100
EHP eher Befürwortung der Heimpflege
73
27
  insgesamt
39
61

Wie verteilen sich nun diese Orientierungen auf "soziale Milieus"? Gibt es milieuspezifische Formen der Solidarität mit pflegebedürftigen Angehörigen und wenn das der Fall ist, wie kommt es dazu?

Soziale Milieus

Konzepte wie "soziale Milieus" und verwandte Begriffe wie "Lebensstilgruppen" haben in der soziologischen Diskussion derzeit Hochkonjunktur.(5)

Sie finden nicht nur in der Grundlagenforschung über soziale Ungleichheit Beachtung, sondern haben sich auch in der kommerziellen Forschung etabliert. Nicht immer wird aber deutlich, worum es dabei eigentlich geht und auch, wie die Milieuklassifikationen zustande kommen, ist nicht immer reproduzierbar.(6) Gleichwohl steht hinter diesen Konzepten eine wichtige Grundidee: Präferenzen, Verhaltensdispositionen oder Werteorientierungen lassen sich nicht mehr in einer befriedigenden Weise durch Klassen, Stände oder Schichten erklären. Alle Milieuklassifikationen berücksichtigen deshalb neben Merkmalen, die sich zur Beschreibung strukturell-positionaler Ungleichheiten eignen (Einkommen, Beruf, Bildung) auch "subjektive Wirklichkeiten", also Orientierungen oder Präferenzen, von denen man annimmt, daß sie eine gewisse gesellschaftliche Verbreitung besitzen, z.B. Werteorientierungen oder geschmackliche Vorlieben. Dabei ergeben sich allerdings Probleme, auf die wir hier nur kurz eingehen möchten: (1) Es wird eine "weitgehende" Entkoppelung von strukturell-positionaler Ungleichheit und "subjektiven Wirklichkeiten" angenommen. (2) Es wird unterstellt, daß die als "subjektive Wirklichkeiten" berücksichtigten Aspekte keine Bedeutung unter Ungleichheitsgesichtspunkten besitzen. Beide Annahmen sind fraglich: Es läßt sich zeigen, daß es zwar einerseits eine gewisse Entkoppelung zwischen positional-struktureller Ungleichheit und Werteorientierungen, Präferenzen etc. gibt, die auch keineswegs gänzlich neu ist, daß andererseits aber diese strukturellen Merkmale nach wie vor noch immer sehr gute, für bestimmte Dispositionen sogar die besten Prädiktoren sind.(7) Auch die zweite Annahme ist höchst problematisch. Das zeigen u.a. die Untersuchungen von Pierre Bourdieu, die deutlich machen, daß "symbolisches Kapital" (u.a. ästhetische Präferenzen) stratifiziert ist und stratifizierend wirkt: Es gibt einen "legitimen Geschmack", der durch Strukturen "produziert" wird, den Habitus prägt und über die Praktiken der Individuen zur Reproduktion von Strukturen beiträgt.(8) Auf diese Einwände werden wir bei der Interpretation unserer Ergebnisse zurückkommen.

Das von uns entwickelte Milieukonzept unterscheidet sich nicht grundlegend von anderen. Es wurden Merkmale, mit denen sich positionale Ungleichheiten beschreiben lassen, mit Indikatoren verknüpft, die eine Einschätzung von grundlegenden Orientierungen ermöglichen. Dabei wurden nur solche Merkmale berücksichtigt, die einerseits unter den hier als wichtig betrachteten Gesichtspunkten gültige Einstufungen ermöglichen, die andererseits aber auch in genau der gleichen Weise wiederholt - von 1982 bis 1996 - in den repräsentativen ALLBUS-Studien erhoben wurden. Die Indikatoren wurden auf der Grundlage der ALLBUS-Daten (1996) über Faktorenanalysen zu zwei Skalen zusammengefaßt und mit den "ALLBUS-Gewichten" zur Klassifikation der Befragten in der Munderkingen-Stichprobe verwendet. Wir haben also für die Erhebung nichts Neues konstruiert, sondern schon vorhandene Methoden eingesetzt und nur in einer neuen Weise aufbereitet und zu aussagekräftigen Kennziffern umgearbeitet. Der Rückgriff auf die bei ALLBUS verwendeten Erhebungsmerkmale hat den großen Vorteil, daß sich der Stellenwert der Munderkingen-Ergebnisse vor dem Hintergrund einer repräsentativen Stichprobe bestimmen läßt. Und ein Vergleich zwischen ALLBUS-Erhebungen zu verschiedenen Zeitpunkten läßt erkennen, wie die von uns als zentral erachtete Erklärvariable für pflegekulturelle Orientierungen - die Zugehörigkeit zu sozialen Milieus - sich im Zeitverlauf verändert hat.

Zur Messung der positionalen Ungleichheit wurden das Pro-Kopf Einkommen im Haushalt (netto) und der Schulabschluß berücksichtigt. Der Berufsstatus wurde nicht in die Skala aufgenommen, da dann zahlreiche Befragte, die keinen Beruf ausüben - insbesondere Frauen - nicht einstufbar gewesen wären. Die Merkmale Pro-Kopf-Einkommen im Haushalt und Schulbildung(9) wurden für die ALLBUS-Befragung aus dem Jahr 1996 über eine Faktorenanalyse zu einer Skala mit dem Mittelwert 100 und der Standardabwichung 50 zusammengefaßt. Für die Milieuklassifikation wurde die Skala unter Berücksichtigung der Standardabweichung zu drei Kategorien komprimiert: niedrig (bis 75), mittel (75 bis 125) und hoch (größere Werte als 125). Ein Vergleich zeigt, daß die Statusgruppen "niedrig", "mittel", "hoch" in der Munderkingen-Stichprobe ungefähr genauso verteilt sind, wie in der entsprechenden Altersgruppe (40 bis 60 Jahre) in der repräsentativen ALLBUS-Stichprobe.

In einem zweiten Schritt entwickelten wir eine Skala, mit der sich ein bestimmter Aspekt des Lebensentwurfs unserer Befragten beschreiben läßt: Ob eher eine Tendenz zu einem "vormodernen" oder zu einem "modernen" Lebensentwurf besteht. Dazu berücksichtigen wir die folgenden Merkmale aus den ALLBUS-Studien: die Werteorientierung nach der von Inglehart vorgeschlagenen Einstufung in "postmaterialistische" und "materialistische" Präferenzen(10) und die durch eine Gruppe von statements ermittelten Vorstellungen über die Rolle von Frauen. In der einen Richtung verweist die Zustimmung zu diesen Aussagen auf ein eher konservatives, familienzentriertes Frauenbild und in der anderen Richtung auf das Gegenstück: eine weniger auf die Familie und dafür stärker auf Selbstbestimmung und berufliche Entfaltung ausgerichtete Vorstellung von der Frauenrolle. Da der Inglehart-Index und die statements zur Frauenrolle sehr hoch korrelieren war auf der Grundlage der ALLBUS-Stichprobe von 1996 über eine Faktorenanalyse eine Zusammenfassung zu einer Skala möglich. Auch diese Skala wurde normiert, mit dem Mittelwert 100 und einer Standardabweichung von 50. Die Skala beschreibt das folgende Kontinuum: auf dem einen Extrem eine starke Präferenz für "materialistische Werte" (Ordnung, Sicherheit, Preisstabilität) und eine auf den Bereich der Familie konzentrierte Definition der Frauenrolle gegenüber einer Präferenz für "postmaterialistische Werte" (Partizipation, Selbstverwirklichung) und einer Definition der Frauenrolle, die weniger an der Familie als an einer beruflichen Tätigkeit ausgerichtet ist. Auch diese Skala wurde für die Milieuklassifikation zu drei Kategorien zusammengefaßt: "vormoderner Lebensentwurf" (Werte bis 75), "teils, teils" (75 bis 125) und "moderner Lebensentwurf" (größere Werte als 125). In der Munderkingen-Stichprobe ist der Typ "moderner Lebensentwurf" gegenüber der repräsentativen ALLBUS-Studie in der hier relevanten Altersgrupe etwas über- und der Typ "vormoderner Lebensentwurf" etwas unterrepräsentiert.

Die Milieuklassifikationen ergeben sich durch zwei Achsen oder Dimensionen. Die eine beschreibt die Verfügbarkeit über sozialstrukturell verankerte Ressourcen: ökonomisches Kapital in Form von Einkommen und kulturelles Kapital in Form von Titeln bzw. Schulabschlüssen. Der Kürze halber nennen wir diese Milieuachse "strukturelles Kapital". Die andere Dimension beschreibt die Verfügbarkeit über symbolische Ressourcen: den Besitz von Überzeugungen, die von zentraler und weitgehend anerkannter Bedeutung für die Vorstellung von einem den modernen Bedingungen optimal angepaßten Lebensentwurf sind. Diese Dimension beschreibt gewissermaßen das Ausmaß der Teilhabe am "legitimen Modernitätsdiskurs". Der Kürze halber nennen wir sie "symbolisches Kapital". Diese Terminologie unterstellt (wir glauben zu Recht, wollen das hier aber nicht ausführen), daß auch das symbolische Kapital stratifiziert ist und stratifizierend wirkt. Für hohe (also in Diskursen weitgehend anerkannte und nicht besonders begründungsbedürftige) Positionen ist die Ablehnung "materialistischer Werte" (Ordnung, Sicherheit, Disziplin, Konsum ...) charakteristisch und die Zustimmung zu "postmaterialistischen Werten" (Selbstverwirklichung, Partizipation, Emanzipation, Umweltschutz...); ebenso aber auch die Ablehnung eines konservativen, auf die Familie zentrierten Frauenbildes und die Befürwortung einer über Erwerbstätigkeit und beruflichen Erfolg definierten Frauenrolle.

Der Tendenz nach läßt sich ein "vormoderner Lebensentwurf", also eine "geringe Teilhabe am legitimen Diskurs" sehr viel häufiger bei niedrigem strukturellem Kapital beobachten und vice versa: ein "moderner Lebensentwurf" korrespondiert deutlich mit einer hohen Position beim strukturellen Kapital. Da die beiden Dimensionen relativ deutlich korrelieren, ist die Annahme einer völligen Entkoppelung von strukturell beschreibbarer Ungleichheit und Orientierungen zurückzuweisen. Andererseits aber ist die Korrelation weit davon entfernt, perfekt zu sein(11) und es ist deshalb durchaus sinnvoll, von einer relativ weitgehenden Entkoppelung zu sprechen und die beiden Achsen zur Grundlage von Milieuklassifikationen zu berücksichtigen. Das haben wir in der folgenden Weise getan.

Natürlich sind die Grenzen auf den Achsen "willkürlich" in dem Sinne, daß sie formal sind und es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, z.B. statt der Standardabweichungen nicht lieber den Quartilsabstand zu wählen. Deshalb sind die in der Abbildung berichteten Prozentangaben auch nicht besonders interessant. Die Milieueinteilungen ergeben erst dann sinnvolle und interpretierbare Ergebnisse, wenn sie für Vergleiche verwendet werden: In welche Richtung hat sich die Bedeutung von Milieus verändert? Wie unterscheiden sich die Milieus im Hinblick auf "pflegekulturelle Orientierungen"? Auf diese Fragen lassen sich auch bei den hier vorgenommenen "willkürlichen" Einteilungen durchaus sinnvolle Antworten geben.

Pflegekulturelle Orientierungen und soziale Milieus

Die folgenden Ergebnisse zeigen, daß sich pflegekulturelle Orientierungen in einer nicht zufälligen Weise auf soziale Milieus verteilen.

Diagramm 2

Die geringste Bereitschaft zum entschiedenen Selberpflegen läßt sich im "liberalen bürgerlichen Milieu" beobachten: also bei der Kombination von relativ hohem sozialen Status mit einem modernen Lebensentwurf. Nur noch zwei Prozent würden bei dieser Konstellation einen pflegebedürftigen Angehörigen "unbedingt" selber versorgen wollen und nimmt man diejenigen hinzu, die das "eventuell" tun würden, ergibt sich ein Anteil von 14 Prozent. Die größte Bereitschaft zum Selberpflegen besteht in den beiden Unterschicht-Milieus: im "traditionellen Unterschicht-Milieu" würden 23 Prozent "unbedingt" selber pflegen und 21 Prozent wären "eventuell" dazu bereit. Im "neuen/liberalen Unterschicht-Milieu" sind die Pflegebereitschaften nicht sehr viel anders: 26 Prozent würden unbedingt selber pflegen und 15 Prozent würden das eventuell tun. Eine Bereitschaft zum Selberpflegen im engeren und erweiterten Sinne besteht also bei rund 40 Prozent der Angehörigen dieser beiden Milieus.

Für die Heimpflege läßt sich in den beiden Unterschicht-Milieus dagegen nur eine sehr geringe Akzeptanz beobachten: Nur 18 Prozent bzw. 23 Prozent sind "unbedingt" oder "eventuell" für eine Heimunterbringung. Das größte Interesse an einer Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen durch ein Pflegeheim ist eindeutig in den bürgerlichen Milieus beobachtbar, also bei Befragten mit relativ hohem Einkommen und hohen Bildungsabschlüssen. Ist der hohe Status mit einem modernen Lebensentwurf kombiniert, würden sich 22 Prozent unbedingt für eine Heimunterbringung entscheiden und 36 Prozent würden das eventuell in Erwägung ziehen. Im "konservativ-bürgerlichen Milieu" ist die entschiedene Befürwortung der Heimpflege mit 10 Prozent niedriger, aber die Mehrheit (52 Prozent) würde der Heimpflege eventuell den Vorzug geben. Insgesamt - im engeren und weiteren Sinne - würden also rund 60 Prozent der Befragten aus den bürgerlichen Milieus einen Angehörigen "unbedingt" oder "eventuell" im Heim versorgen lassen.

Die mittleren Milieus liegen mit den Anteilen für Selberpflegen und Heimpflege dazwischen. Im "konservativen Mittelschicht-Milieu" würden 33 Prozent selber pflegen und 40 Prozent wären für das Heim. Im "liberalen Mittelschicht-Milieu" beträgt der Anteil derjenigen, die selber pflegen würden, nur noch 22 Prozent und die Quote der Heimbefürworter beträgt 53 Prozent.

Die Produktion von pflegekulturellen Orientierungen durch die Sozialstruktur

Diese Anteile für verschiedene Präferenzen im Hinblick auf die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger lassen Regelmäßigkeiten erkennen, die zu ersten Vermutungen über die Gründe für diese starke Assoziation von pflegekulturellen Orientierungen mit den Milieus Anlaß geben. Es ist deutlich erkennbar, daß mit steigender Verfügbarkeit über "strukturelles Kapital" - Einkommen und Titel - sich der Anteil derjenigen verringert, die im "harten" oder "weichen" Sinne, zum Selberpflegen bereit sind und das Interesse an der Versorgung eines Angehörigen durch ein Pflegeheim nimmt deutlich zu. Und ein zusätzlicher Effekt scheint von der "Verfügbarkeit über symbolisches Kapital" auszugehen, d.h. davon, in welchem Umfang wesentliche Aspekte des "legitimen Modernitätsdiskurses" inkorporiert sind. In dem Maße, in dem Befragte zu einem modernen Deutungsschema tendieren, sind sie weniger zum Selberpflegen bereit und stärker daran interessiert, einen pflegebedürftigen Angehörigen durch ein Heim versorgen zu lassen.

Zusammenfassend ist festzustellen: Solidarität in der Form einer Bereitschaft zur Pflege von Angehörigen läßt sich am ehesten in Gruppen beobachten, die man zu den Verlierern von Modernisierungsprozessen rechnen kann - in Gruppen mit niedrigem strukturellem Kapital und bei denen, die in ihrem Weltbild an den Modernisierungsprozeß weniger gut angepaßt sind. Der Gegenpol dazu sind die gut Angepaßten, also Leute mit höherem Einkommen, hohen Bildungsabschlüssen und einer auf moderne Lebensbedingungen zugeschnittenen Sicht der Dinge. Die Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen durch Eigentätigkeit ist für die meisten von ihnen kein Thema. Man vertraut sehr viel mehr auf die beruflich geleistete Hilfe in Heimen.

Die Frage ist nun, warum in den "Verlierermilieus" die Bereitschaft zum Selberpflegen so viel stärker ausgeprägt ist als bei den "Gewinnern"? Von welchen Gründen oder Motiven muß man ausgehen, um diesen Zusammenhang auch in Kategorien von sinnhaften Orientierungen der Akteure zu verstehen. Unsere Antworten auf diese Fragen mögen vielleicht ein bißchen spekulativ sein, aber sie beruhen auf Indizien:

(1) Eine genauere Betrachtung der Beziehung zwischen den Milieus und den pflegekulturellen Orientierungen zeigt, daß die Positionen auf der Achse des symbolischen Kapital zwar einen gewissen Beitrag zur Erklärung unterschiedlicher Orientierungen leisten, daß der Haupteffekt aber ganz eindeutig auf den Besitz an strukturellem Kapital, also Einkommen und Bildungsabschluß zurückzuführen ist.(12) Bei der Suche nach Motiven müssen wir uns also auf Gründe konzentrieren, die etwas mit positionaler Ungleichheit zu tun haben.

(2) Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus den Antworten der von uns im Interview vorgelegten "Dilemma-Frage".

Ich schildere Ihnen jetzt einmal eine Situation und möchte dann einige Fragen dazu stellen: 
Eine ältere Dame wird in der nächsten Zeit aus dem Krankenhaus entlassen. Sie erlitt vor einigen Wochen einen Schlaganfall und ist seitdem dauerhaft pflegebedürftig. Sie kann auch nur wenige Stunden am Tag allein gelassen werden. 
Ihr Wunsch ist es, im Hause ihrer einzigen Tochter gepflegt zu werden. Ihre Tochter ist verheiratet, hat zwei Kinder, die zur Schule gehen und ist halbtags berufstätig. Für die Pflege der Mutter müßte sie ihre Berufstätigkeit aufgeben. Die Tochter entscheidet sich gegen den Wunsch der Mutter und bemüht sich um einen Platz in einem gut geführten Pflegeheim. 

Halten Sie die Entscheidung der Tochter für eher falsch oder richtig? Wo würden Sie auf dieser Skala (Liste 2 vorlegen) Ihre Einschätzung machen? 
 

                                Verhalten                           Verhalten 
                               der Tochter                        der Tochter 
                               ist eher falsch                    ist eher richtig 

                           - 3        -2          -1         +1          +2           + 3 

Wie würden Sie Ihre Einschätzung begründen? Welche Gesichtspunkte waren dabei für Sie wichtig? 
(Stichworte notieren - später ausführliches Gedächtnisprotokoll im Anhang)

Bei dieser Frage ist von besonderem Interesse, wie die Ablehnung oder Befürwortung der vorgegebenen Dilemma-Entscheidung begründet wird. Unsere Vermutung bei der Aufnahme dieses Fragetyps in das Interview war, daß die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger überwiegend als eine "moralische Verpflichtung" erlebt wird. Da sich der Typ der Dilemma-Frage in Untersuchungen über moralisches Bewußtsein methodisch bewährt hat, wollten wir damit verschiedene Typen des moralischen Abwägens in Bezug auf Pflegeverpflichtungen ermitteln. Wir erwarteten Begründungen, die sich z.B. im Sinne der Kohlberg-Typen als "präkonventionelle", "konventionelle" oder "postkonventionelle" Erwägungen klassifizieren lassen.(13) Unsere Überraschung war jedoch groß, daß moralische Argumente in den Kommentaren zur Dilemma-Entscheidung nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Nur rund ein Viertel der 40- bis 60jährigen haben ihre Stellungnahme zu der fiktiven Entscheidung durch moralische Argumente begründet, die sich ungefähr zwei gleich starken Gruppen zuordnen lassen: einer Art "konventioneller Moral" ("das gehört sich so", "das war immer so", "es gehört sich einfach") und einer vielleicht eher "postkonventionellen Begründung" durch die Erwähnung von Reziprozitätsverpflichtungen ("als Kind wurde ich auch versorgt, deshalb ist es nicht richtig...").

Erstaunlich ist aber der geringe Anteil an moralischen Erwägungen und der sehr hohe Anteil an Erwägungen, in denen irgendwelche Kosten berücksichtigt werden. Rund 60 Prozent bewerten die Dilemmasituation unter Kostengesichtspunkten, die mit den Alternativen Selberpflegen und Heimpflege in Verbindung gebracht werden. Dieses Ergebnis führte uns zu der Vermutung, daß die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger in der Generation der 40- bis 60jährigen weniger unter moralischen Gesichtspunkten erlebt wird, sondern eher als eine Verpflichtung mit Konsequenzen für die individuelle Kosten-Nutzen-Bilanz.

In dieser Richtung erscheint es uns auch sinnvoll, nach Motiven zu suchen, die hinter dem beobachteten Zusammenhang von Milieu und pflegekulturellen Orientierungen stehen könnten. Die Frage lautet also, was für Kosten in den verschiedenen Milieus welche Rolle spielen.

Kosten lassen sich unterscheiden in direkte ökonomische Kosten und in Opportunitätskosten. Direkte Kosten sind die Ausgaben, die im Zusammenhang mit der Übernahme von Pflegeverpflichtungen entstehen: Bezahlung von beruflichen Helfern und die Kosten einer Heimunterbringung. Opportunitätskosten sind entgangene Chancen - das, worauf man verzichten muß, wenn man sich zu einer bestimmten Tätigkeit entschieden hat - z.B. zum Selberpflegen. Diese beiden Kostenarten sind in den Milieus sehr unterschiedlich und es sind genau diese Unterschiede, die auch zu den Unterschieden in den pflegekulturellen Orientierungen führen. Mit steigendem strukturellen Kapital verringert sich die Bedeutung der mit einer Heimunterbringung verbunden ökonomischen Kosten und es steigen die mit Selberpflegen verbundenen Opportunitätskosten. Mit sinkendem strukturellem Kapital steigt dagegen die relative Bedeutung der mit einer Heimpflege verbundenen wirtschaftlichen Kosten und es sinken die mit Selberpflegen verbundenen Opportunitätskosten. Schematisch lassen sich diese Unterschiede in der relativen Bedeutung von Kosten so darstellen:
 
Diagramm 3
 
In den unteren Milieus gilt die Heimpflege im Verhältnis zur Einkommenssituation als teuer und von vielen wird sie - trotz Pflegeversicherung - als nicht bezahlbar eingeschätzt. Selberpflegen ist dagegen relativ preisgünstig, vor allem, wenn die pflegende Tätigkeit über die Wahl von Geldleistungen (in bescheidenem Umfang) honoriert wird und sich so das Haushaltsbudget aufbessern läßt. Die mit Selberpflegen verbundenen Opportunitätskosten sind dagegen relativ niedrig. Aufgrund des niedrigen Schulabschlusses und der wenig aussichtsreichen beruflichen Situation - besonders bei Frauen, die ja ganz überwiegend die Versorgung von Pflegebedürftigen übernehmen - spielt die Frage nach entgangenen Chancen allenfalls eine sehr geringe Rolle. Das heißt natürlich nicht, daß Selberpflegen nicht auch in unteren Milieus mit Entbehrungen und Einschränkungen verbunden ist. Diese werden aber nicht zusätzlich noch überlagert durch hohe Opportunitätskosten, also durch den Verzicht auf aussichtsreiche berufliche Möglichkeiten oder die Aufgabe von sozialen und kulturellen Ambitionen. Die aus dieser strukturellen Konstellation sich ergebende Selbstverpflichtung zur Pflege beruht also einmal auf Zwängen (niedriges Einkommen) und zum anderen auf dem Fehlen von größeren Chancen, auf die man bei der selbst geleisteten Versorgung eines pflegebedürftigen Angehörigen verzichten müßte.

In den mittleren und höheren Milieus sind die Kosten einer Heimunterbringung natürlich auch spürbar, aber sie haben doch aufgrund der sehr viel besseren Einkommenssituation eine deutlich geringere Bedeutung. Hier ist sicher der Effekt der Pflegeversicherung nicht zu unterschätzen. In der Vergangenheit konnten Bezieher höherer Einkommen nicht damit rechnen, daß Heimkosten für einen Angehörigen durch die Sozialhilfe getragen werden. Die Pflegeversicherung übernimmt nun zumindest einen Teil davon und verringert damit deutlich den inhibierenden Effekt der Heimkosten. Dieser Effekt ist vermutlich besonders in den mittleren bis "gehobenen" Einkommensgruppen wirksam, also da, wo in der Vergangenheit die Sozialhilfeberechtigungsschwelle gerade überschritten wurde. In den höheren Milieus sind dagegen die Opportunitätskosten des Selberpflegens relativ hoch. Eine höhere Schulbildung und Berufsausbildung sind sowohl mit sozialen und kulturellen Ambitionen verbunden, wie aber auch mit der Vorstellung von beruflichen und ökonomischen Chancen, die man beim Selberpflegen aufgeben müßte. Die aus dieser strukturellen Konstellation sich ergebende Präferenz für die Heimpflege beruht also einmal auf dem Fehlen von Zwängen (höheres Einkommen) und zum anderen auf den durch Bildungs- und Berufsabschluß erzeugten Vorstellungen von Chancen, auf die man bei der selbst geleisteten Versorgung eines pflegebedürftigen Anghörigen verzichten müßte. Dieser Effekt wird in den mittleren und höheren Strukturgruppen noch einmal verstärkt, wenn auch die Verfügbarkeit über die zentralen Momente des Modernitätsdiskurses (symbolisches Kapital) hoch ist - wenn der Anspruch auf Selbstverwirklichung, Emanzipation und berufliche Chancen auch zu einem wesentlichen Aspekt des subjektiven Bezugsschemas geworden ist.

Diese strukturelle Produktion von Pflegebereitschaften wird auch deutlich, wenn Gender-Aspekte berücksichtigt werden. Zwischen erwerbstätigen Männern und Frauen sind keine wesentlichen Unterschiede im Hinblick auf ihre Pflegebereitschaften zu beobachten. Nur die nicht erwerbstätigen Frauen weichen in allen Milieus deutlich von dem allgemeinen Trend ab: Der Anteil derjenigen, die einen pflegebedürftigen Angehörigen selber versorgen wollen ist mit 50 % deutlich höher als im Durchschnitt (31 %) und das Heim wird spürbar seltener in Erwägung gezogen (23 % vs. 38 % im Durchschnitt). Für erwerbstätige Frauen ist die Übernahme von Pflegeverpflichtungen eine riskante und kostspielige Entscheidung, die nicht nur mit Einkommensverlusten, sondern auch mit der Aufgabe von sozialen Ansprüchen im Hinblick auf Emanzipation und Selbstverwirklichung verbunden ist.

Wie haben sich die für pflegekulturelle Orientierungen relevanten sozialen Milieus verändert?

Diese Frage läßt sich auf der Grundlage der ALLBUS-Erhebungen beantworten. Ein Vergleich ist möglich zwischen den Jahren 1982 und 1996, allerdings nur für die alten Bundesländer. In diesen Jahren wurden die für unsere Klassifikation wichtigen Merkmale erhoben. Besonders wichtig sind Vergleiche für die Altersgruppen der 40- bis 60jährigen.(14)

Folgendes läßt sich beobachten:

(1) Die Verteilung auf der Achse "strukturelles Kapital" hat sich von 1982 bis 1996 nicht dramatisch geändert: Der Anteil "hoher Status" ist lediglich um 9 Prozent gestiegen und die Kategorie niedriger Status hat sich um 12 Prozent verringert.

(2) Sehr viel deutlichere Veränderungen gibt es für die Achse "symbolisches Kapital": Der Typ "vormoderner Lebensenwurf" hat sehr stark an Bedeutung verloren - um 36 Prozent - und ist von 66 Prozent auf nur noch 30 Prozent gesunken. Und der Anteil von Personen mit einem "modernen Lebensentwurf" ist von 8 Prozent auf 28 Prozent gestiegen. In diesem Ergebnis kommt der Wandel von Werteorientierungen und Präferenzen in Richtung einer zunehmenden Ausbreitung des legitimen Modernitätsdiskurses sehr deutlich zum Ausdruck: die Abkehr von Werten, die sich auf Ordnung, Sicherheit und materielle Lebensbedingungen beziehen und eine verstärkte Hinwendung zu Präferenzen, in denen Selbstverwirklichung und Emanzipation eine große Rolle spielen.

(3) Nimmt man diese Änderungen auf den beiden Achsen zusammen, um zu den von uns definierten Milieus zu kommen, wird der Wandel deutlich: Der Anteil des Milieus, in dem am häufigsten eine Bereitschaft zum Selberpflegen beobachtet werden konnte - niedriges strukturelles Kapital und geringe Teilhabe am Modernitätsdiskurs - hat sich in der Zeit von 1982 bis 1996 halbiert und ist von rund 40 Prozent auf nur noch 20 Prozent gesunken. Zugenommen haben dagegen die Anteile von Milieus, in denen in stärkerem Umfang die Heimpflege befürwortet wird, also die Kombination von mittleren und höheren Positionen beim strukturellen Kapital mit einem den modernem Lebensbedingungen angepaßten Weltbild.
 
Diagramm 4

Schlussfolgerungen und Perspektiven

Die Ergebnisse unserer Untersuchungen stellen in eindrücklicher Weise in Frage, dass die Voraussetzungen, von denen die Pflegeversicherung ausgeht und auf die sie baut, in der Zukunft auch nur annähernd erwartet werden können. Dass künftige Generationen nicht in vergleichbarer Weise an Pflegeaufgaben im häuslichen Bereich beteiligt sein werden, ist keine neue Erkenntnis. In diese Richtung wirkt auch der demographische Faktor und die Veränderung in den Haushaltsgrößen. Unsere Studie schärft aber den Blick für die Bedeutung von sozialen Milieus und ist deshalb in der Lage, die Änderungen in den pflegekulturellen Orientierungen sozial zu verorten und zu quantifizieren. Dabei wird deutlich, dass die Pflegeversicherung als auf die Zukunft gerichtete soziale Sicherung sich in ihrer Konzeption weitgehend an den zahlenmäßig stark zurückgehenden Milieus und ihren Mentalitäten orientiert: Sie baut auf eine eher traditional vermittelte Pflegebereitschaft in Familien und Partnerschaften, sie fördert in den zahlenmäßig zunehmenden sozialen Milieus eher eine Abkehr vom Selberpflegen und eine höhere Akzeptanz gegenüber der Heimpflege. Damit wird aber in Frage gestellt, dass die Pflegeversicherung ihre sozialpolitischen Zielsetzungen erreicht, gerade mit Blick auf die Zukunft, Pflegebereitschaften in der "modernen Gesellschaft" zu fördern und zu stabilisieren. Sollte sich die von uns beschriebene Verteilung von pflegekulturellen Orientierungen auch in entsprechende Entscheidungen umsetzen, dürfte überdies das finanzpolitische Konzept der Pflegeversicherung in Frage gestellt werden, das auf einem recht hohen Anteil von Pflegegeldbeziehern und damit selbst pflegenden Angehörigen basiert.

Die Ergebnisse der Studie dürfen aber nicht als vollständige und moralisch fragwürdige Entsolidarisierung und Individualisierung interpretiert werden. Andere Ergebnisse unserer Untersuchung lassen durchaus erkennen, dass sich ein unerwartet hoher Anteil von rund 50 % in der Gruppe der 40- bis 60jährigen innerhalb der Familie bereits mit Pflegeverpflichtungen auseinander gesetzt hat und immerhin zwei Drittel von diesen "Pflegeerfahrenen" waren mit oder ohne berufliche Hilfen für kürzere oder längere Zeit an der häuslichen Versorgung ihrer Angehörigen beteiligt. Überraschend ist auch, dass eine recht differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema "Pflegebedürftigkeit" erfolgt. Das gilt besonders für die Vorsorgeüberlegungen der Befragten, die sich nicht nur auf monetäre Vorsorgeformen beschränken, sondern in einem zahlenmäßig erheblichen Umfang auch auf Formen solidarischer Selbstorganisation. Gleichwohl macht die Studie deutlich, dass in wachsendem Umfang die Übernahme von Pflegeaufgaben nicht mehr als selbstverständlich erscheint und individuelle Gestaltungsoptionen des eigenen Lebens auch bei der Konfrontation mit Pflegeaufgaben innerhalb der Familie in hohem Maße relevant bleiben. Es sollte allerdings berücksichtigt werden, dass die in der Studie zum Ausdruck kommenden Einstellungen und Abwägungen in der konkreten Situation, in der es um die Übernahme von Pflegeaufgaben geht, nicht allein entscheidungsrelevant werden. Sowohl finanzielle als auch soziale Restriktionen im Zusammenhang mit der konkreten Situation können durchaus zu Entscheidungen gegen die eigenen Präferenzen führen(15). Die begrenzten Leistungen der Pflegeversicherung im ambulanten Bereich und die weiterhin auch Angehörige und das Erbe stark belastenden Zuzahlungen im stationären Bereich oder zu erwartende Rückzahlungsforderungen bei Sozialhilfebezug begrenzen auf ökonomischer Ebene die Freiheit der Entscheidungen und können auch in den mittleren Statuslagen einen Zwang zur Selbstpflege entstehen lassen, der unter strukturellen Gesichtspunkten eher für die unteren Milieus charakteristisch ist.

Will man sozial- und pflegepolitisch die Beteiligung von Angehörigen auch in der Zukunft sichern, so scheinen (auch) neue Mischformen von privater Solidarität und professioneller Dienstleistungen innerhalb und außerhalb von Institutionen gefragt. Die Erfahrungen mit Tagespflegeeinrichtungen in der Bundesrepublik zeigen, dass derartige Mischformen kulturell bisher nicht selbstverständlich vermittelbar, und schon gar nicht verankert sind.(16) Auf eine entsprechende Weiterentwicklung pflegekultureller Orientierungen und lokaler Hilfekulturen setzt aber gerade die Pflegeversicherung. Hierin ist ein sowohl kommunalsozialpolitischer als auch ein pflegepolitischer Gestaltungsauftrag zu sehen, für den es günstige Anknüpfungspunkte insoweit zu geben scheint, als zumindest Pflegeerfahrungen und Vorsorgebereitschaften in einem höheren Maße in der Bevölkerung vorhanden sind als landläufig erwartet wird.

Die Daten und Ergebnisse unserer Studie irritieren:

  • individuell, indem sie bewusst machen, dass die Vorsorge für eine potentielle eigene Pflegebedürftigkeit zumindest nicht selbstverständlich innerhalb der Familien gelingt, aber auch, dass die individuellen pflegekulturellen Orientierungen nicht unbedingt ihre Entsprechung in der Infrastruktur mit Pflegeeinrichtungen finden,
  • lokal, indem Mythen der Familienpflege als die auch zukünftige Basis pflegerischer Versorgung in der Kommune in Frage gestellt werden,
  • sozialpolitisch, indem der Vorrang "ambulant vor stationär" sich als eine durchaus problembehaftete ideologische Zielformulierung darstellt, für die sich im "liberalen bürgerlichen Milieu", das gemeinhin als diskursprägend wirkt, keine Basis findet.
Diese Irritationen können, produktiv gewendet, zu einer angemessenen Auseinandersetzung und zu konstruktiven lokalen und sozialpolitischen Diskursen beitragen bzw. hierzu entsprechende Impulse geben. In einem modernen Verständnis von Sozialplanung haben derartige öffentliche Diskurse einen zentralen Platz und eröffnen Wege zu einer integrierten Infrastruktur- und Kulturentwicklung, die notwendigerweise lokale Ressourcen und Spezifitäten berücksichtigt(17). Es ist auch zu vermuten, dass in unsere Studie Besonderheiten aus Munderkingen ihren Niederschlag in den Daten gefunden haben, insbesondere hinsichtlich der vergleichsweise positiven Einstellung zum Pflegeheim, das in Munderkingen einen recht guten Ruf genießt. Auch die ausgeprägte Vereinsstruktur und speziell das Vorhandensein eines auf Vorsorge hin angelegten Krankenpflegevereins mag seinen Niederschlag in Teilaspekten der Ergebnisse gefunden haben. Die Perspektive pflegekultureller Orientierungen schärft den Blick für die Mikropolitik der Pflege und bietet gleichsam eine Basis für mikropolitische Diskurse.(18)

In methodischer Hinsicht ermutigt die Studie zu einer partiellen Neuausrichtung in der Altenhilfeplanung, indem sie neben der Diskursförderung genaue Annahmen über und eine genauere Verortung des professionellen Pflegebedarfs in der Zukunft erkennen hilft und in milieuspezifischen Zuordnungen lokalisieren und quantifizieren lässt. Insofern könnte sich das hier entwickelte Instrumentarium gegenüber den gängigen indikatorengestützten Bedarfsplanungsansätzen als überlegen erweisen, da es "quantitative" und "qualitative" Planungsperspektiven und Methodiken zusammenführt. Im Kontext der Modernisierungsdiskussion und der Forschung zum sozialen Wandel scheint das bisher vernachlässigte Pflegethema in hohem Maße interessant und relevant. Wir hoffen, dass es gelingt, die als Pilotstudie angelegte Munderkingen-Studie zu replizieren, um so noch qualifiziertere und differenziertere Annahmen über die künftigen pflegekulturellen Orientierungen und soziale Milieus formulieren zu können.

Literatur

  • Blaumeiser, H.,Blunck, A.,Klie, T.,Pfundstein, T.,Wappelshammer, E.: Handbuch kommunaler Altenplanung, Stuttgart 2000 (i. E.)
  • Blinkert, B., Klie, T.: Pflege im sozialen Wandel, Hannover 1999
  • Bourdieu, P.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt 1989
  • Heitmeyer, W. u.a.: Gewalt. Schattenseiten der Individualisierung bei Jugendlichen aus unterschiedlichen Milieus, Weinheim/München, 1998
  • Herkommer, S.: Die feinen und die krassen Unterschiede. Differenzierungen der kapitalistischen Klassengesellschaft, in: Klages, J., Strutynski (Hg.): Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts, S. 67-81, Hamburg, 1997
  • Hradil, St.: Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Von Klassen und Schichten zu Lagen und Mileus, Opladen, 1987
  • Kohlberg, L.: The psychology of moral development. The nature and validity of moral stages. San Francisco, 1984
  • Lind, G.: Wie mißt man moralisches Urteil? In G. Portele (Hg.): Sozialisation und Moral: Neue Ansätze zur moralischen Entwicklung und Erziehung (S. 171-200). Weinheim, 1978
  • Runde, P. u. a.: Einstellungen und Verhalten zur Pflegeversicherung und zur häuslichen Pflege. Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Leistungsempfängern der Pflegeversicherung, Bonn 1998
  • Runde, P., Giese,R..: Wirkungen des Pflegeversicherungsgesetzes auf die Pflegeübernahme und die Pflegeorganisation, in: VSSR 1999 (4/5), S. 339-362
  • Schneekloth, U., Müller, U.: Wirkungen der Pflegeversicherung, Baden-Baden 1999
  • Steiner-Hummel, I.: Sorge und Pflege als Feld sozialer Erfahrungen: Bürgerschaftliche Ansätze zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen, Stuttgart 1996
  • Sinus-Institut: Lebensweltforschung und soziale Milieus in West- und Ostdeutschland (Ms.), Heidelberg, 1992.
  • Ueltzhöffer, J., Flaig, B.: Spuren der Gemeinsamkeit? Soziale Milieus in Ost- und Westdeutschland, in: Weidenfeld, W. (Hg.): Eine Nation - doppelte Geschichte, S. 61-81, Köln, 1993
  • Vester, M., von Oertzen, P., Geiling, H. u.a.: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Köln, 1993.
  • Zeman, P.: Altern im Sozialstaat und die Mikropolitik der Pflege, Regensburg 2000

Endnoten

1. Runde, P. u. a.: Einstellungen und Verhalten zur Pflegeversicherung und zur häuslichen Pflege. Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Leistungsempfängern der Pflegeversicherung, Bonn 1998; Blinkert, B./Klie, T.: Pflege im sozialen Wandel, Hannover 1999; Schneekloth, U., Müller, U.: Wirkungen der Pflegeversicherung, Baden-Baden 1999

2. Blaumeiser, H./,Blunck, A./Klie, T./Pfundstein, T./Wappelshammer, E.: Handbuch kommunaler Altenplanung, Stuttgart 2000 (i. E.)

3. Die Wahl fiel auf Munderkingen als Kommune, die in das binationale Forschungsprojekt "Für's Alter sorgen. Grundlagen und Methoden kommunaler Altenplanung" Aufnahme gefunden hatte, gemeinsam mit den Kommunen Lobenstein (Thüringen) und Kuchl (Salzburger Land), gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, durchgeführt durch die Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung e. V. an der Evang. Fachhochschule Freiburg. Die Untersuchung wurde in Kooperation zwischen der Evang. Fachhochschule Freiburg und dem Institut für Soziologie der Universität Freiburg durchgeführt. Besonderen Dank schulden wir den Teilnehmern eines von beiden Institutionen veranstalteten Projektseminars und den Mitarbeitern des Freiburger Instituts für angewandte Sozialwissenschaft, Herrn Peter Höfflin und Herrn Jürgen Spiegel, sowie Herrn Thomas Pfundstein, Mitarbeiter der Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung.

4. Es ist möglich, über die Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung an der Evang. Fachhochschule e. V., Bugginger Str. 38, 79114 Freiburg und das Freiburger Institut für angewandte Sozialforschung, Wannerstr. 33, 79106 Freiburg, eine der "Munderkingen-Studie entsprechende Befragung durchzuführen und eine am Planungsbedarf orientierte Expertise anfertigen zu lassen.

5. Vgl. u.a. Heitmeyer, W. u.a.: Gewalt. Schattenseiten der Individualisierung bei Jugendlichen aus unterschiedlichen Milieus, Weinheim/München, 1998. Hradil, St.: Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Von Klassen und Schichten zu Lagen und Mileus, Opladen, 1987. Sinus-Institut: Lebensweltforschung und soziale Milieus in West- und Ostdeutschland (Ms.), Heidelberg, 1992. Ueltzhöffer, J., Flaig, B.: Spuren der Gemeinsamkeit? Soziale Milieus in Ost- und Westdeutschland, in: Weidenfeld, W. (Hg.): Eine Nation - doppelte Geschichte, S. 61-81, Köln, 1993. Vester, M., von Oertzen, P., Geiling, H. u.a.: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung, Köln, 1993.

6. Das gilt vor allem für die hochgeschätzten SINUS-Milieus, also für die in ein Koordinatensystem eingezeichneten "Milieu-Würste", die einerseits gewiß einen hohen assoziativen Wert haben, bei denen andererseits aber die Frage unbeantwortet bleibt, ob und wie diese wurstförmigen Grenzen zu reproduzierbaren Klassifikationen führen.

7. Vgl. dazu Herkommer, S.: Die feinen und die krassen Unterschiede. Differenzierungen der kapitalistischen Klassengesellschaft, in: Klages, J., Strutynski (Hg.): Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts, S. 67-81, Hamburg, 1997.

8. Bourdieu, P.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt 1989

9. Die Schulabschlußkategorien "Hauptschule", "mittlerer Abschluß" und "Abitur, bzw. Fachhochschulreife" wurden über zwei dummy-Variablen berücksichtigt.

10. Diese Merkmale wurden als dummy-Variablen in der Faktorenanalyse berücksichtigt.

11. In der ALLBUS-Studie 1996 mit r=0,34 für 1996 für die alten Bundesländer.

12. Das ist auch das Ergebnis einer multivariaten logistischen Regression: Berücksichtigt man strukturelles und symbolisches Kapital jeweils einzeln als Prädiktoren, so erweisen sich beide als signifikant für die Schätzung von Wahrscheinlichkeiten zum Selberpflegen bzw. zur Heimpflege. Werden jedoch beide in einer multivariaten logistischen Regression berücksichtigt, lassen sich Schätzwerte für diese Wahrscheinlichkeiten in einer signifikanten Weise nur über die strukturelle Achse ermitteln. Die Verfügbarkeit über symbolisches Kapital leistet dann keinen zusätzlichen "Nettobeitrag".

13. Kohlberg, L.: The psychology of moral development. The nature and validity of moral stages. San Francisco, 1984; Lind, G.: Wie mißt man moralisches Urteil? In G. Portele (Hg.): Sozialisation und Moral: Neue Ansätze zur moralischen Entwicklung und Erziehung (S. 171-200). Weinheim, 1978.

14. Ganz exakte Vergleiche sind natürlich nicht möglich. Die Fragen in den Interviews wurden zwar in der gleichen Weise gestellt, aber ihre Position im Fragebogen ist nicht die gleiche. Auch das für die Messung des sozioökonomischen Status wichtige Merkmal Einkommen kann nur als Schätzwert für 1982 berücksichtigt werden, bei dem gegenüber 1996 eine jährliche durchschnittliche Einkommens- bzw. Preissteigerung von zwei Prozent angenommen wurde.

15. vgl. hierzu auch: Runde, P., Giese,R..: Wirkungen des Pflegeversicherungsgesetzes auf die Pflegeübernahme und die Pflegeorganisation, in: VSSR 1999 (4/5), S. 339-362

16. Steiner-Hummel, I.: Sorge und Pflege als Feld sozialer Erfahrungen: Bürgerschaftliche Ansätze zur Unterstützung von pflegenden Angehörigen, Stuttgart 1996

17. vgl. zu einem entsprechenden Planungsverständnis: Blaumeiser, H., Blunck, A./Klie, T., Pfundstein, T., Wappelshammer, E. aaO

18. vgl. Zeman, P.: Altern im Sozialstaat und die Mikropolitik der Pflege, Regensburg 2000

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